Höchstleistung verkrüppelt 

   Auszug aus "Affenmärchen" von Gebhard Borck 

 

   

Edu quoll es zu den Ohren heraus, das Gerede über dauerhafte

Top-Leistung. Er dachte darüber nach, wann das begonnen hatte und kam in seinen

Überlegungen zumindest zurück bis in die vierte Klasse, als es darum ging, auf welche weiterführende Schule man geht. Spätesten seit damals wurde er auf Hochleistung getrimmt. Und heute, im Berufsleben, war immer noch kein Ende in Sicht. Um ihn herum fingierten Kollegen äußerlich gute Laune, während sie innerlich mit ihrem Burnout oder gegen die Depression kämpften. Väter von Neugeborenen machten auffällig viele Überstunden, weil sie ihr prozessgestörtes Zuhause überforderte und es nicht die Zeit gab, sich darauf einzustellen. Der privat vereinsamte Abteilungsleiter machte auf rüstigen Single und zog die Leistungsdaumenschrauben für alle ordentlich an. Dabei beruhte das gesamte System auf scheinobjektiven Leistungsmessungen. Die Hintertür, die viele nahmen: Zynismus. Doch Edu hatte keine Lust darauf.

Schon in der Schule ging es nicht darum, ob Edu zu Anfang des Schuljahres hundert Rechtschreib- und Grammatikfehler hatte und am Ende nur noch fünfunddreißig, die Note Abzug wegen zu vieler Fehler gab es ab sechs Fehlern pro Seite. Es ging auch nicht darum, ob er sich in das Bild von Van Gogh hinein versetzen und es verstehen konnte. Das wäre auch schwer als Leistung zu messen.

Die Frage war vielmehr, wie gut er es kopieren konnte. Heute, im Arbeitsleben, war es die Anwesenheitszeit pro Woche, die etwas über Leistung aussagte und wie viel Zeit man im Büro des Chefs verbrachte oder wie oft man ihn am Wochenende störte. Edu hatte den Glauben an Höchstleister längst verloren, fand er doch nur

Höchstleistungsheuchelei und Schauspieler, die sich in der Rolle eines Top-Performers übten ohne zu merken, dass sie völlig künstlich wirkten. Er hatte

genug davon ein High-Potential zu sein. Er wollte lieber wieder ein Mensch sein, dem

seine Arbeit Spaß machte.

Höchstleistung hat keine Beständigkeit, ist mehr von Zufällen abhängig als gemeinhin angenommen wird und sicherlich nichts, was uns zu Menschen macht. Wie sehr wir auf die Höchstleistungslüge eingestellt sind, wurde schon in den siebziger Jahren deutlich. In einer Untersuchung unter einer Million US-Studenten sollten die Befragten ihre eigenen Fähigkeiten mit denen ihrer Kommilitonen vergleichen: Sieben von zehn hatten laut Selbsteinschätzung überdurchschnittliche

Führungseigenschaften, bei sechs von zehn lagen die sportliche Fähigkeiten über

dem Mittel, ebenfalls sechs von zehn gehörten zu den obersten zehn Prozent im

Bezug auf soziale Intelligenz und ganze fünfundzwanzig von hundert (!) gingen

davon aus, zum obersten Prozent in dieser Kategorie zu gehören. Immer noch glaubt

die weite Mehrheit der Führenden das Eintreten von positiven Ereignissen, wie etwa

dem gelungenen Projektabschluss, hätte direkt etwas mit ihnen zu tun, während für

negative Vorkommnisse die Umwelt oder eben Pech verantwortlich ist. Zur

Beruhigung kann darauf verwiesen werden, dass sowohl das Positive wie auch das

Negative maßgeblich von Zufällen und übergeordneten Trends abhängig ist und weit

weniger von der Leistung einer einzelnen Person.

Soll das heißen, es gäbe keine Höchstleistung? Keinesfalls, es ist nur so, dass sie

viel mehr mit Zufällen zusammen hängt, als mit den gezielten Handlungen einzelnen

Personen, die wir als Höchstleister identifiziert zu haben glauben. Höchstleistung

kann, bezogen auf uns Menschen, unterschiedlichste Ausprägungen haben. In einer

Situation beruht sie auf Fleiß und Durchhaltevermögen, in einer anderen kommt sie

von Frechheit und Nonkonformismus, wieder anders fußt sie auf Dummheit gepaart

mit Wagemut und dergleichen mehr.

Ob es Höchstleistung geworden ist, entscheidet immer eine Wechselwirkung, eine Interaktion und wir wissen es erst hinterher. Damit ist Höchstleistung, außer vielleicht in manchen Sportarten, gar keine menschliche Eigenschaft, vielmehr ist sie die zufällige, äußerst subjektive Bewertung von Ergebnissen vernetzter Handlungen. Das was Porsche gestern noch als Höchstleister auszeichnete, Aggressivität, unbedingt der Erste sein zu wollen, ein gerüttelt Maß an Arroganz und der Glaube daran, dass es kein Hindernis geben kann, welches für Porsche zu groß wäre, macht das Unternehmen heute zum Verlierer in einem unsäglichen Vereinigungskrieg. Das Streben nach Top-Performance und das Ideal der Höchstleister macht uns Menschen verbissen und geht so auf Kosten von Geschmeidigkeit, von Humor, mit dem man so manchen Tiefschlag besser überstehen kann und vor allem von Glaubwürdigkeit. Denn Höchstleistung ist ein ebenso flüchtiger Moment wie Glück. Mit dem Unterschied, dass er nicht in der eigenen Beurteilung stattfinden, sondern immer im kritischen Blick der anderen auf das eigene Tun.

Wenn Sie Höchstleistung wollen, suchen Sie nicht nach Höchstleistern, suchen Sie

nach Möglichkeiten, positiv die unterschiedlichen Fähigkeiten von verschiedenen

Menschen zusammen zu bringen ohne einen davon zu überlasten. So wird

Top-Performance wahrscheinlicher während Sie nicht der Arroganz erliegen,

unkontrollierbare Ereignisse steuern und gestalten zu können. Mehr kann Mensch

nicht tun.

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